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Die DB redet zu viel vom Wetter

Winterkapitulation darf sich nicht wiederholen • Dank an Einsatzkräfte und Kritik an Managern

Berlin, 15.02.2021 (BA/gm)
Gut eine Woche lang haben Kälte und zu Beginn starke Schneefälle die Menschen in allen Verkehrsmitteln auf eine harte Probe gestellt – besonders bei der Eisenbahn. Noch immer gibt es Zugausfälle, einzelne Schienenstrecken sind immer noch gesperrt und beladene Güterzüge seit Tagen im Nirgendwo abgestellt sowie Weichen zu Industriegleisen nicht befahrbar. Im Angesicht neuer Niederschläge haben der Fahrgastverband PRO BAHN und das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) e.V. eine Bilanz gezogen und formulieren Forderungen, wie die Verlässlichkeit des systemrelevanten Schienenverkehrs schnell gestärkt werden kann. 

In einem Werbefilm der Deutschen Bundesbahn über den Winter 1956 heißt es: „Durch den starken Kälteeinbruch mit Temperaturen bis 30 Grad unter null wurde der Verkehr im Winter 1956 ungewöhnlich behindert. Hochwasser und Eisstauungen, auch am Rhein, führten dazu, dass die Schienen zeitweise der einzige Beförderungsweg waren. Planmäßig und schnell räumten Schneepflüge und Schneeschleudern die eingeschneiten Strecken und Bahnhöfe. (…) fahren die Züge in die verschneite Bergwelt und überall dort, wo Gleise liegen.“ Diesem Anspruch ist der Nachfolger der Bundesbahn, die DB AG, in der vergangenen Woche nicht gerecht geworden.

„Die Eisenbahn hat ihren Job nicht gut genug gemacht in dieser kalten und weißen Woche“, fasst Lukas Iffländer von PRO BAHN das Ergebnis der Analysen zum Güter- und Personenverkehr auf der Schiene bündig zusammen. Ludolf Kerkeling, NEE-Vorstandsvorsitzender resümiert: „Wir sehen ein Organisationsversagen beim Infrastrukturbetreiber, das die Eisenbahnkunden verprellt hat.“ Es gebe keinen Anlass, bei den Unternehmen der Deutschen Bahn für Selbstzufriedenheit angesichts der Tatsache, dass keine Züge evakuiert werden mussten. Die tagelange Einstellung von Verkehren sei inakzeptabel und auch offensichtlich nicht nötig. Die Betreiber kleinerer Eisenbahnnetze und die Eisenbahnen in vielen Nachbarländern hätten erneut gezeigt, dass solche Wetterlagen besser beherrschbar seien. Man danke den eingesetzten Kräften, nicht jedoch den verantwortlichen Managern.

PRO BAHN: „Das Ziel muss ganz klar sein, auch unter außergewöhnlichen Witterungsbedingungen normal zu fahren. Nur so kann die Eisenbahn systemrelevant bleiben.“ Kerkeling ergänzt, dass „zu Hause bleiben“ schon für viele Menschen, aber erst recht für Güter keine Option sei. Im Güterverkehr gebe es noch nicht einmal einen Ersatzverkehr auf der Straße. Kerkeling: „Wir fordern daher, dass die Aufsichtsbehörden die Prozesse der DB Netz untersuchen.“ Der Güterbahnen-Verband hatte bereits 2018 nach zahlreichen langen Sperrungen in Folge von Stürmen auf die Betriebspflicht nach § 4 Absatz 3 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes verwiesen und von der DB Netz AG gefordert, dass alle netzinternen Prozesse und Ressourcen auf eine längstens 24-stündige Sperre und das auch nur in außergewöhnlichen Wetterlagen ausgerichtet sein müssten. Der Vorstand der DB Netz AG hatte diese Forderung abgelehnt, was nach Kerkelings Aussagen „nicht das letzte Wort sein darf.“

Der Ärger der beiden Bahnverbände richtet sich nicht nur gegen die DB Netz, sondern auch gegen die Bundesregierung. In der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen Bund und DB Netz ist der Winterdienst anscheinend nicht ausreichend geregelt. So gilt bei der DB Netz AG wie leider so oft, das Ziel, dass dieser betriebswirtschaftlich organisiert werden muss – sprich es wird gespart. Pflüge, Schleudern und Fräsen sind nicht in annähernd ausreichender Zahl vorhanden. Heute sind es in Summe gut 70, allein die Deutsche Reichsbahn brachte in die DB AG über 100 Schneepflüge ein. Auch fehlt es „vorne und hinten“ an einsatzfähigem Personal. Der Bund muss hier nachsteuern und großzügige Mindeststandards für den Winterdienst in die LuFV einbauen und ab morgen die Einhaltung von Gesetz und Verträgen durch Behörden überwachen lassen.

Die Verbände haben eine große Zahl von Missständen in den vergangenen Tagen dokumentiert. Heraus stachen im Personenverkehr die Sperrungen der Hauptmagistralen. So war die erst 2015 eröffnete Schnellfahrstrecke VDE 8.2 Erfurt – Halle/Leipzig gleich vier Tage gesperrt, was für Zugausfälle, Umleitungen, Verspätungen und Folgeverspätungen sorgte, die den Nah- und Güterverkehr auf den Umleiterstrecken aus dem Fahrplan brachten. Besonders prekär: Die DB Netz hatte einfach keinen Plan, wie auf der Strecke geräumt werden soll. Schneepflüge fielen wegen der vielen Lärmschutzwände aus, Schleudern und Fräsen waren nicht vor Ort. Dass nach über fünf Jahren Betrieb kein Konzept zum Winterdienst auf der Strecke existiert, „ist eine Blamage“ (Iffländer).

Rund um den Harz war eine ganze Region im Personen- und Güterverkehr tagelang von jeglichem Eisenbahn-verkehr abgeschnitten.

Die Güterbahnen wurden von DB Netz trotz Hinweis gezwungen, selbst medizinische Güter transportierende Züge abzustellen. Industrielle Gleisanschlüsse und selbst die Gleise in großen Containerumschlaganlagen konnten tagelang nicht mehr bedient werden, was in mindestens einem bekannten Betrieb zur sofortigen Umstellung der Transporte auf den Lkw geführt hat. In Leipzig stationierte Loks waren mangels Weichenheizungen nicht in Betrieb zu nehmen, Fahrpläne in Anschlussgleise wurden teils prinzipiell verweigert. In einem krassen Einzelfall wurde einem über 300 Kilometer angefahrenen Lokführer noch am Donnerstag die Einfahrt in ein der DB Netz gehörendes Abstellgleis verweigert, weil die Weiche noch nicht geräumt sei. Die Lok musste ohne den zur Abholung vorgesehenen Güterzug zurückfahren. Ludolf Kerkeling: „Besonders ernüchtert haben unsere Mitglieder die vielen chaotischen Szenen. Dass man sich DB-intern nicht einigen konnte, von wem die sich anbietenden externen Bahnen mit Räum- und sogenannten Spurfahrten beauftragt werden sollen. Oder wenn wir mit unseren Loks eine Spurfahrt gemacht haben und dann die Strecke dennoch von DB Netz nicht frei gegeben wurde. Dass die Informationssysteme der DB Netz oft schlicht falsche Informationen verbreitet haben. Oder dass den Zügen auf wieder frei gegebenen Strecken die nötigen Fahrpläne nicht gegeben wurden.“

PRO BAHN und NEE kritisieren, dass die DB in ihrer eigenen Kommunikation die Kapitulation vor diesem Winterereignis schöngeredet habe. So richtig der Dank – auch des Bundesverkehrsministers – an die Einsatzkräfte sei, werde man doch das Gefühl nicht los, dass damit auch die Verantwortlichen für das Winterdesaster gegen Kritik immunisiert werden sollen.

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