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Aschenputtel Schiene

Das Straßennetz wurde nicht nur in die Länge, sondern auch in die Breite erweitert

Berlin, 27.01.2023 (BA/gm)
Eine Studie der RegioConsult untersucht die Frage, wie stark neben dem Neubau auch der Ausbau Kapazität für zusätzliche Lkw und Pkw geschaffen und damit mehr Straßenverkehr ermöglicht und Verkehrsverlagerung behindert hat.

Während das Schienennetz über Jahre zurückgebaut wurde, hat die Bundesregierung nicht nur beim Straßen-Neubau, sondern auch beim Straßen-Anbau nicht gekleckert. Mit spürbaren Wirkungen auf die Möglichkeit, mehr Verkehr abzuwickeln. „Der Ausbau der Straße hatte massiven Einfluss auf die Marktanteile von Straße und Schiene. Zu wenig Infrastrukturzuwachs ist die zentrale und klimaproblematische Wachstumsbremse im Schienengüterverkehr“, kommentiert Ludolf Kerkeling, Vorstandsvorsitzender der GÜTERBAHNEN. Der massive Kapazitätszuwachs durch den Anbau weiterer Spuren an bestehenden Straßen ist ein bisher kaum betrachteter Unterschied zwischen Straßen- und Schienennetz. Straße-Schiene-Vergleiche beziehen sich meist auf die Länge der beiden Netze und dokumentieren bereits sehr eindrücklich, wie sehr der Lkw- und Pkw-Verkehr durch den Ausbau von Straßen von der Politik gefördert wurde. Während mittlerweile rund 840.000 Kilometer Straßen existieren – 1950 waren es noch 450.000 – wurde das Schienennetz auf etwa 38.000 Kilometer geschrumpft. Die Kapazität des verbleibenden Rests wurde durch den Rückbau von Weichen, Abstellgleisen oder Kurven noch mehr geschwächt. 

Weniger im Fokus der Öffentlichkeit, aber offenbar nicht minder effektiv, wurde zugleich die Leistungsfähigkeit der Straße auch durch den Ausbau bereits vorhandener Straßen deutlich erhöht. Zusätzliche Fahrspuren, aber auch kreuzungsfreie Verknüpfungen, Mitnutzung von ehemaligen Standspuren und andere Verkehrsanlagen, die vor allem den Verkehrsablauf vereinfachten, schaffen Platz. „Dadurch wurde der mineralölgetriebene und energieaufwendige Straßenverkehr priorisiert. Der Druck, energieeffizient und klimafreundlich zu transportieren, muss nun andere Prioritäten setzen. Der Bund muss sich auf die Schiene konzentrieren“, so Kerkeling.

Die bisher unveröffentlichte Studie der RegioConsult Verkehrs- und Umweltmanagement im Auftrag der GÜTERBAHNEN zeigt am Beispiel von vier Autobahnen (A 2, 3, 7 und 8) auf, wie stark die Leistungsfähigkeit durch den Anbau weiterer Fahrspuren ab dem Jahr 2000 an den Autobahnen gesteigert wurde. Insgesamt wurden allein bei diesen vier Autobahnen auf einer Länge von insgesamt 458 Kilometern die Fahrspuren von vier auf sechs erweitert. Die vielfach vorgenommene Erweiterung einer bisher vierspurigen Autobahn um zwei weitere Fahrstreifen erhöht die Kapazität der Studie zufolge um 66,1 bis 210 Prozent (von 20.000 bis 62.000 Kfz/24h auf etwa 62.000 bis 103.000 Kfz/24h). Bei nicht mehr seltenen Erweiterungen von sechs auf acht Fahrspuren steigt die Kapazität noch einmal um 33,3 bis 90 Prozent. Bei den in der Studie untersuchten Autobahnen existieren weitere Planungen für den Anbau von Fahrspuren auf rund 320 Streckenkilometern. In Ballungsgebieten wird über eine Entwicklung zu zehnspurigen Autobahnstrecken diskutiert. Kerkeling: „Wir gehen davon aus, dass der Ausbau vorhandener Verkehrswege zum langjährigen überproportionalen Wachstum des Straßengüterverkehrs beigetragen hat.“

In der Untersuchung konnte nachgezeichnet werden, dass in Folge der Kapazitätserweiterungen auch die Zahl von Lkw und Pkw deutlich angestiegen ist – an den untersuchten Zählstellen zwischen 2003 und 2019 um bis zu 40 Prozent im Schwerverkehr (Beispiel Augsburg West). Auch der vom Bund – anders als bei der Schiene – darüber hinaus geförderte Ausbau von Rastanlagen für die Abstellung von Lkw wurde im Rahmen der Untersuchung als relevante Steigerung der Attraktivität der Straße identifiziert.

Kerkeling: „Aschenputtel sollte unmöglicherweise Linsen und Erbsen innerhalb kürzester Zeit aus der Asche klauben. So wurde auch der Schiene von der Politik der unmögliche Auftrag erteilt, zu wachsen und die Straße zu entlasten, während die dafür nötige Infrastruktur vom Staat nicht geschaffen wurde. Die verfügbaren Mittel wurden überwiegend im Straßenbau eingesetzt. Wir leben aber nicht im Märchenland, in dem gefiederte Helferlein Unmögliches doch noch möglich machen.“ Er hält im Vorfeld des Koalitionsausschusses noch einmal fest, worum es für die künftige Verkehrspolitik geht: „Im Koalitionsausschuss der Ampel-Parteien steht nicht weniger als die Frage auf der Tagesordnung, ob auf Bundesebene die in Westdeutschland seit etwa siebzig Jahren verfolgte Straßen-zentrierte Verkehrsinfrastrukturphilosophie bruchlos fortgesetzt wird.“

Entschieden stärker auf die im Vergleich zum Lkw effizientere Schiene zu setzen, wäre ein Bruch dieser Philosophie. Kerkeling abschließend: „Um das Ziel der Politik zu erreichen, 2030 auf der Schiene ein Viertel der Verkehrsleistung im Güterverkehr zu erbringen, brauchen wir nachholend die Sanierung sowie den Neu- und Ausbau der Schiene und keinen Fokus auf weitere massive Kapazitätssteigerung des Straßennetzes.“

Die vollständige Studie der RegioConsult finden Sie hier.

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