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Kaprun: Angehörigenvertreter ziehen Bilanz

Politik hat die ganze Verantwortung abgeschoben – Justiz war mit dem Fall dramatisch überfordert – Weitere Verfahrensführung aber sinnlos – Angehörige wollen nicht instrumentalisiert werden

Wien, 10.11.2010 (BA)
Anlässlich des zehnten Jahrestages der Katastrophe von Kaprun ziehen Mitglieder der seinerzeit eingesetzten Vermittlungskommission zwischen Angehörigen und den Gletscherbahnen Kaprun ihre Bilanz der Ereignisse nach dem Unglück.

Johannes Stieldorf, Vater eines bei dem Unglück ums Leben gekommenen Sohnes und als Rechtsanwalt einer der Chefverhandler in der Vermittlungskommission: „Wir haben großes Verständnis für die Unzufriedenheit und die Wut vieler Angehöriger mit dem Ablauf und dem Ergebnis des Strafverfahrens. Dennoch glauben wir, dass es richtig war, den Angehörigen der 155 Opfer jahre-, vielleicht sogar jahrzehntelange Rechtsstreitigkeiten zu ersparen und einen Vergleich mit den Gletscherbahnen abzuschließen.“

Die Vermittlungskommission wurde vom früheren Gouverneur der Österreichischen Nationalbank, Klaus Liebscher, geleitet und erzielte mit dem im Juni 2008 abgeschlossenen Vergleich ein Ergebnis, bei dem die Angehörigen deutlich mehr Entschädigung erhielten, als dies nach langen zivilrechtlichen Auseinandersetzungen der Fall gewesen wäre. Konkret wurden an 455 Personen aus 11 Ländern insgesamt 13,2 Millionen Euro, also rund 85.000 Euro je Opfer ausbezahlt.

„Nach zehn Jahren stehen wir Angehörige der Tragödie von Kaprun nach wie vor fassungslos gegenüber. Und wir verstehen nicht, warum es im Strafverfahren nicht möglich war, klare Verantwortlichkeiten festzustellen“, so Angehörigenvertreter Stieldorf.

Dabei sei ganz klar ersichtlich, dass der nachträgliche, völlig unsachgemäße Einbau eines für den Gebrauch im Haushalt bestimmten Heizlüfters kausal für das Unglück gewesen sei. „Die Verantwortung liegt daher eindeutig bei den Gletscherbahnen“, so Stieldorf.

Auf Grund der geltenden Rechtslage seien weitere Verfahren und Schadenersatzforderungen allerdings wenig zielführend und von der Mehrheit der Angehörigen auch nicht gewünscht. „Die meisten von uns wollen das Geschehene abschließen und in Ruhe verarbeiten. Sie wollen auch nicht instrumentalisiert werden, um eine Neuauflage des Verfahrens zu erreichen. Die Sache ist unbefriedigend, aber sie abgeschlossen“, so Stieldorf.

Auch der Wiener Rechtsanwalt Gerald Ganzger von der Kanzlei Lansky, Ganzger + Partner, der als Vertreter von 70 Angehörigen ebenfalls einer der Chefverhandler in der Vermittlungskommission war, räumt neuerlichen Schmerzengeldverfahren wenig Erfolgsaussichten ein. „Die mangelhafte Abwicklung des Strafverfahrens und die verständliche Frustration vieler Angehöriger ist eine Sache. Eine andere Sache ist, wie viel die Betroffenen selbst bei einem Schuldspruch bekommen würden. Das ist nämlich mit Sicherheit weniger, als bei dem von der Vermittlungskommission verhandelten Vergleich herausgekommen ist.“

So sei Schmerzengeld für Angehörige, die kein konkretes Krankheitsbild auf Grund des Unglücks beweisen können, nur bei grober Fahrlässigkeit der Verantwortlichen zu bezahlen und das liege laut Judikatur in der Regel bei höchstens 20.000 Euro. Weiters sind laut Gesetz nur Kinder, Eltern und Ehegatten anspruchsberechtigt, im Vergleich wurde auch für Geschwister Schmerzengeld ausverhandelt. Auch Angehörige, die zivilrechtlich nicht geklagt haben, haben im Rahmen des Vergleichs Entschädigungszahlungen erhalten.

„Systemfehler, wie sie zur Katastrophe von Kaprun geführt haben, können in einem solchen Strafverfahren eben nicht aufgedeckt werden“, kritisiert Rechtsanwalt Ganzger den Umgang der Politik mit dem Unglück, „es hätte damals eine Untersuchungskommission gebraucht, um die Verantwortungen abseits des reinen Strafrechts zu analysieren“. Aber die Politik habe alles auf die Strafjustiz abgeschoben, die die Causa in ihrer gesamten Dimension nicht bewältigen konnte. Eine einzige Staatsanwältin ohne entsprechende Infrastruktur sei einem Team von 16 Top-Verteidigern gegenübergestanden. „Damit war sowohl die Anklagevertreterin wie auch der Einzelrichter völlig überfordert“, so Ganzger.

Die Angehörigen, so Opfervater Stieldorf, hätten den gesamten Prozess als Affront wahrgenommen. „Wir hatten das, Gefühl, nur zu stören. Es gab keine Informationen, es gab keine Transparenz. Es wurde nur gemauert“.

Umso wichtiger sei es, dass der Vergleich mit den Gletscherbahnen ein den Umständen entsprechend faires Ergebnis erbracht habe und endlose Zivilverfahren vermieden werden konnten.

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