Angehörige klagen ihr Leid
Kaprun, 11.11.2001
Am frühen Nachmittag sind die Vertreter der Angehörigen der 155 Toten des Gletscherbahnen-Unglücks vor die Presse getreten und haben aus ihrer Verbitterung über die Gletscherbahnen kein Hehl gemacht.

Verbitterung und Verwirrung
Die Verbitterung unter den Angehörigen ist groß. 50 Millionen Schilling sind als freiwilliges Schmerzens- geld von der Versicherung in Aussicht gestellt worden, ob die Angehörigen das akzeptieren werden, ist fraglich.
Nur mit Mühe sei es gelungen, daß die Gletscherbahnen am Gedenktag ihren Betrieb eingestellt hätten. Hannes Stieldorf, einer der Sprecher der Angehörigen, berichtet: "Ich weiß von vielen, daß sie irritiert sind durch Aktivitäten der Gletscherbahnen Kaprun AG, die durch das Einholen von Gutachten, das Lancieren von Meldungen und Ähnliches glauben, bereits im Vorfeld schadensbegrenzend wirken zu könnnen".

Kontroversen um Ed Fagan
Die Angehörigen wollen nicht einsehen, daß jene Vorstände, die zur Zeit des Unglücks im Amt waren, auch mit dem Bau der neuen Bahn beauftragt worden sind. Trotz der Verbitterung vieler Hinterbliebener werden aber die Aktivitäten von Hinterbliebenen-Anwälten wie Fagan oder Witti kontroversiell beurteilt.
"Wenn Ed Fagan nicht so einen Lärm gemacht hätte, dann wäre nicht so viel passiert.
Wir würden wahrscheinlich gar nicht mehr angehört", sagt Benedikt Sailern-Moy, der bei dem Unglück seinen Sohn verloren hat. Neue Aktionen, wie das Aufstellen von Kreuzen in großer Zahl, habe man nicht vor, waren sich die Angehörigen einig.

600 Angehörige gedenken der Opfer
Kaprun, 11.11.2001
Genau ein Jahr nach der Brandkatastrophe steht Kaprun heute im Zeichen des Totengedenkens. Angehörige der Opfer trafen sich bereits in den frühen Morgenstunden. Sie geben sich gegenseitig Kraft, die Trauer zu überwinden.

Keine Reden von Politikern
Die Angehörigen der 155 Opfer trafen sich am Sonntagmorgen im Ortszentrum von Kaprun. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur 6,5 Kilometer entfernten Talstation der Gletscherbahn, wo um neun Uhr eine Gedenkfeier stattfand, die die Angehörigen selbst gestalteten.
An dem dort provisorisch aufgestellten schlichten Holzkreuz wurden viele Blumen niedergelegt. Die Fa- milien der Toten hatten ausdrücklich auf Reden von Politikern und Vertretern der Seilbahngesellschaft verzichtet. Eine offizielle Gedenkstätte soll später eingerichtet werden. Über 600 Menschen aus aller Welt kamen zu der Feier und gedachten der verunglückten Verwandten und Freunde.
Das Feuer in der Standseilbahn war genau vor einem Jahr durch einen defekten Heizlüfter ausgelöst worden. Die so genannte Kaminwirkung im Tunnel hatte den Fahrgästen in der voll besetzten Bahn keine Chance gelassen. Nur ein Dutzend Skifahrer hatte sich durch eine eingeschlagene Scheibe ins Freie retten können.

Die Staatsanwaltschaft hat rund 20 Personen in Verdacht, an dem Feuerinferno Mitschuld zu tragen. Es handelt sich um Mitarbeiter der Seilbahngesellschaft, Beschäftigte der Bahnerbauer sowie Vertreter des Technischen Überwachungsvereins (TÜV) und Beamte des Verkehrsministeriums als oberste Seilbahn- behörde. Zur Anklage soll es zu Beginn des nächsten Jahres kommen. Am Rande der Veranstaltung wurde Kritik an den Gletscherbahnen laut.

Symbole für die Opfer als Schlußpunkt
Die Gedenkfeier war für die Hinterbliebenen der Opfer eine Gelegenheit, um von den Toten Abschied zu nehmen und ihr persönliches Schicksal verarbeiten zu können. Viele Angehörige lasen selbst verfaßte Gedichte und Botschaften vor.
Die Veranstaltung sollte den Familien der Opfer auch dazu dienen, einen Schlußstrich unter die Ge- schehnisse des 11. November zu ziehen. Für manche ist es jedoch zu früh für diesen Schritt, wie die Äußerungen eines Teilnehmers bewiesen, der in seiner Ansprache vor den Trauernden schwere Vor- würfe gegen die Betriebsgesellschaft der Gletscherbahnen vorbrachte. Er wurde von den anderen Trau- ernden aufgefordert, zu schweigen.

Als Schlußpunkt der Veranstaltung ließen die Angehörigen 155 weiße Luftballons als Symbole für die Toten des Unglücks über dem Himmel von Kaprun aufsteigen.
In Kaprun selbst wollen die Bewohner mit der Veranstaltung die Umkehr erreichen. Man will statt eines Katastrophenschauplatzes wieder zum Fremdenverkehrziel werden.

Kaprun: Ein Jahr danach "Gemeinsam schaffen wir es"
Gustl Prohaska ist einer der Organisatoren der Gedenkfeier. Er hat bei der Katastrophe seinen 26-jähri- gen Sohn verloren und ist überzeugt, daß man nur gemeinsam den Schmerz und die Trauer überwinden kann. "Wenn man sich nicht selber hilft, bleibt man über und das gibt mir Kraft, daß ich das den ande- ren weitergeben kann. Wir sind jetzt eine große Gruppe geworden und helfen uns gegenseitig. Man kann das nur gemeinsam schaffen, allein läuft man am Stand", schildert Prohaska.
Die Hinterbliebenen haben beschlossen, von nun an jedes Jahr einen Gedenkmarsch zur Bahn abzu- halten.

Gedenktag als Schlußstrich
Kaprun, 11.11.2001
Ein Jahr nachdem 155 Menschen bei der Seilbahnkatastrophe von Kaprun ums Leben kamen, will sich die Fremdenverkehrsgemeinde vom "Diktat der Trauer" freispielen. Am Sonntag (11.11.2001) jährt sich das Unglück zum ersten Mal, mit verschiedenen Veranstaltungen wird der Toten gedacht. Damit wollen die Kapruner auch einen Schlußstrich unter die Ereignisse vom 11. November ziehen – eine Hoffnung, die sich kaum erfüllen wird: Die Vorbereitungen für den Prozeß, der die Schuld an der Tragödie klären soll, laufen auf Hochtouren.
Ein Teil der Geschichte
Der erste Jahrestag des verheerenden Brandes in der Standseilbahn auf das Kitzsteinhorn soll den Hin- terbliebenen der Opfer gehören. Der Skibetrieb wird für einen Tag ausgesetzt,"Gedenkwanderungen" und Gottesdienste finden statt. Die Menschen im Ort bekennen sich zum Gedenken, zugleich aber fordern sie auch ihr "Recht aufs Weiterleben" ein.
Das Unglück sei "Teil der Geschichte, dazu muß man stehen", sagt Bürgermeister Norbert Karlsböck. Nach dem Gefühl der Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit habe sich aber wieder Optimismus durchge- setzt.
"Durchstarten" statt Gedenken
Hans Wallner, der Tourismusdirektor von Kaprun, hält ebenfalls wenig vom Blick zurück. Er hat schon die kommende Wintersaison im Auge, und die soll ohne Verzögerung beginnen: "Am 12. November starten wir voll durch", meint Wallner und verweist lieber auf die neue Seilbahn, die zur Jahreswende in Betrieb gehen soll.
Die Buchungslage "ist schlicht und ergreifend gut", meint Wallner zufrieden. Er gibt sich keinen Illusio- nen hin: Zu verdanken habe man das einer anderen Katastrophe, nämlich den Terroranschlägen in den USA am 11. September. Kaprun profitiere nun davon, ein ohne Flugzeug erreichbares Reiseziel zu sein.
Kaprun rüstet auf
Hoteliers, Kaufleute und die Gletscherbahnen wollen den Gedenktag hinter sich bringen und wieder dort weitermachen, wo sie vor einem Jahr standen. Mit massiven Investitionen will man den Nimbus des Katastrophenschauplatzes abschütteln.
Zimmer wurden renoviert, Hotels bauten um und setzen nun vermehrt auf "Wellness", auch die Sport- artikelhändler haben für jedermann weithin sichtbar "hochgerüstet".
Werbeagentur mit Erfahrung
Auch die öffentliche Hand unterstützte die Bemühungen Kapruns. Österreich-Werbung und Wirtschafts- ministerium steckten 14,4 Millionen Schilling (1,05 Mio. Euro) in die vor einem Jahr unversehens zu der von einer Tourismus-Krise bedrohten Region. Es floß kein Bargeld nach Kaprun. Stattdessen finanzierte man umfangreiche Medienkampagnen: Unmittelbar nach dem Unglück nahm jene Werbeagentur ihre Arbeit auf, die schon nach der Lawine von Galtür vor der Aufgabe gestanden war, aus einem Kata- strophenschauplatz wieder einen Tourismus-Magneten zu machen.

Monsterprozeß im Frühjahr
Auch Beamte des Verkehrsministeriums wurden angezeigt
Salzburg, 11.11.2001
Seit einem Jahr beschäftigt sich auch die Kriminalabteilung der Gendarmerie Salzburg mit dem Unglück von Kaprun. Gegen 15 Personen wurden bereits Anzeigen wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Feuersbrunst wurden eingebracht, sieben weitere könnten noch folgen.
22.500 Seiten Akten
Bis Jahresende soll sich entscheiden, ob und gegen wen die Staatsanwaltschaft Anklage erheben wird. Mit einem Beginn des Strafprozesses rechnet man jedoch frühestens im Frühjahr 2002. Es verspricht, ein langer und schwieriger Prozeß zu werden.
Bereits jetzt umfaßt die Gerichtsakte 22.500 Seiten. Das Landesgericht Salzburg wird einen Richter eigens für den Prozeß abstellen - mehr dazu in
"500.000 Schilling für Hinterbliebene".
Beamte angezeigt
In jüngsten Einvernahmen soll sich herausgestellt haben, daß der als Brandursache geltende Heizlüfter in der Gletscherbahn nicht kontrolliert wurde und daß der TÜV die Prüfung der Hydraulik des Zuges nicht regelkonform durchgeführt hatte. Auch Beamte und TÜV-Prüfer wurden angezeigt.
Die Schutzmaßnahmen der Gletscherbahnen führten zu weiteren Anzeigen: Die Brandschutztür im Tun- nel hatte sich nach dem Unfall nicht geschlossen, die austretenden Rauchgase töteten drei Menschen in der Bergstation der Bahn. Der Mechanismus der Tür soll ohne die nötigen Zulassungen betrieben wor- den sein.
21 Millionen pro Mandant
Neben der strafrechtlichen Komponente stehen die Schadenersatzforderungen der Angehörigen im Raum, die von einem Zivilgericht behandelt werden müssen, wenn sich die Hinterbliebenen nicht mit ei- nem Vergleich zufrieden geben.
Der Münchner Anwalt Michael Witti, der Angehörige von 14 Opfern vertritt, will für jeden seiner Mandanten mindestens 21 Millionen Schilling (1,53 Mio. Euro) Schadenersatz erkämpfen.

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