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Darum geht es in der Tarifrunde 2014 bei der DB

Entgelt-Tarifverträge von beiden Gewerkschaften gekündigt ● Grundlagen-Tarifverträge liefen aus ● DB will Tarifkonkurrenz vermeiden

Berlin, 15.10.2014 (BA/gm
Im zweiten Halbjahr 2014 stehen bei der Deutschen Bahn mehrere Tarifrunden an.

Worum geht es ab Sommer in der Tarifrunde 2014?
In diesem Sommer laufen für einen Großteil der Beschäftigten in Deutschland die für ihre Beschäftigungsbedingungen relevanten Tarifverträge aus. Beide Gewerkschaften haben die wesentlichen Tarifverträge gekündigt, in denen nicht nur das Entgelt, sondern auch Arbeitszeit und andere Bedingungen geregelt sind. Der Tarifvertrag mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) lief bis zum 30. Juni 2014, der mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bis 31. Juli. Dann endet jeweils die Friedenspflicht. Am 30. Juni 2014 endeten ebenfalls die Grundlagen-Tarifverträge mit EVG und GDL ohne Nachwirkung. Als Hauptpunkt wird dort geregelt, welche Gewerkschaft für welche Berufsgruppe Tarifverträge abschließen darf. Das war Voraussetzung für eine konflikt- und widerspruchsfreie Tarifpolitik mit zwei konkurrierenden Gewerkschaften.

  • Entgeltrunden

Wie sieht die Lohnentwicklung bei der DB in den letzten Jahren aus?
Seit 2007/2008 haben DB und Gewerkschaften bereits wirksam gewordene Lohnerhöhungen von jeweils rd. 24 Prozent mit der EVG als auch mit der GDL vereinbart (inkl. betrieblicher Altersvorsorge). Zuletzt stiegen die Tariflöhne um 3 Prozent (zum 1. April 2014/EVG) bzw. 2,4 Prozent (zum 1. November 2013/GDL). Aktuell erhalten Lokführer bei den Unternehmen der DB – je nach Qualifikation und Berufserfahrung jährlich zwischen 36.000 und 46.000 Euro (inkl. Zulagen und Weihnachtsgeld).

Für wie viele Mitarbeiter verhandeln EVG und GDL?
Die EVG verhandelt grundsätzlich für rund 140.000 DB-Mitarbeiter, darunter rd. 12.100 Mitarbeiter im Bordservice wie rd. 8.800 Zugbegleiter und Bordstewards oder 3.100 Lokrangierführer. Die GDL verhandelt für rund 20.000 DB-Lokomotivführer.

  • Grundlagen-Tarifverträge

Um wie viele Mitarbeiter geht es bei den Verhandlungen über eine Nachfolge eines Grundlagen-TV?
Von inhaltlich sich überschneidenden Tarifforderungen könnten aktuell rd. 37.000 Mitarbeiter betroffen sein: rd. 20.000 Lokführer fallen aktuell unter den Lokführertarifvertrag. Außerdem geht es um rund 8.800 Zugbegleiter, rd. 2.500 Bordgastronomen, rd. 3.100 Lokrangierführer sowie rd. 2.700 Instruktoren, Trainer und Disponenten, für die die EVG verhandelt.

Was steckt hinter den Grundlagen-Tarifverträgen?
Es gibt zwei Grundlagen-TV, jeweils einen mit der EVG und einen mit der GDL. Diese Verträge wurden geschlossen, weil DB und GDL sich 2007/2008 auf einen eigenständigen Lokführertarifvertrag verständigt hatten. Der Grundlagen-TV war die Bedingung, an die der Arbeitgeber den Abschluss eines „eigenständigen Lokführertarifvertrages“ geknüpft hat. In einem langen Tarifstreit einigten sich die Beteiligten auf klare Zuständigkeiten der Gewerkschaften für die Verhandlung von Tarifverträgen. Vereinbart wurde, wer für wen über was verhandeln kann und welche Berufsgruppen bezüglich Tarifverhandlungen für welche Gewerkschaft bis Ende Juni 2014 gewissermaßen „gesperrt“ sind. Da die Gewerkschaften zu keiner gemeinsamen dreiseitigen Vereinbarung bereit waren, wurden im März 2008 zwei getrennte Verträge geschlossen.

Was hat der Grundlagen-Tarifvertrag bislang bewirkt?
Dadurch wurde verhindert, dass mehrere Gewerkschaften für ein und dieselbe Berufsgruppe unterschiedliche Forderungen zum gleichen Regelungsinhalt z.B. zur Arbeitszeit erhoben haben. Klar ist bislang der Grundsatz: Personalarbeit aus einem Guss, keine Konkurrenz der Tarifregelungen! Bislang gilt: Für alle DB-Lokführer gilt das, was die GDL verhandelt hat, für die Zugbegleiter gilt der Vertrag, den die EVG mit der DB vereinbart hat. Ob Arbeitszeit, Pausenregelung, Nachtzuschläge – innerhalb einer Berufsgruppe gilt bisher das gleiche. Mehrere, (z.B. in Arbeitszeitregelungen) unterschiedliche Tarifverträge für eine Arbeitnehmergruppe gibt es demnach nicht.

Was passiert faktisch seit 30.6.2014 nach Auslaufen des Grundlagen-Tarifvertrags?
Für die Mitarbeiter ändert sich zunächst nichts. Solange kein neuer Tarifvertrag vereinbart ist, gilt alles so weiter wie bisher.

  • Tarifkonkurrenz

Was genau ist Tarifkonkurrenz?
Tarifkonkurrenz besteht, wenn für eine identische Arbeitnehmergruppe, z.B. für Lokführer oder Zugbegleiter mehrere Tarifverträge parallel gelten und zu gleichen Themen Unterschiedliches regeln. Das kann dazu führen, dass ein Tarifvertrag Lokführern nach 7 Stunden im Führerstand Ruhezeiten vorschreibt, der andere Tarifvertrag erst nach 8 Stunden.

Was sieht das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil von 2010 vor?
Der 4. Senat des BAG gibt im Januar 2010 seine bisherige Rechtsprechung auf und lässt zu, dass für ein Unternehmen mehrere, konkurrierende Gewerkschaften Tarifverträge für die gleichen Arbeitnehmergruppen fordern und im Streik erzwingen können. Somit können in einem Betrieb mehrere Tarifverträge für identische Tätigkeiten mit unterschiedlichen Regelungsinhalten wie Arbeitszeit parallel gelten, ohne dass einer der Tarifverträge (wie nach dem ehemaligen Grundsatz der Tarifeinheit) verdrängt wird.

Wie könnte sich Tarifkonkurrenz auswirken? Zwei Beispiele zu Schichtplänen und flexiblem Arbeiten:
Bei der DB arbeiten über 100.000 Mitarbeiter im Schichtdienst rund um die Uhr. Wenn in einem Betrieb für Lokführer z.B. unterschiedliche Pausenregelungen gelten, wird die Schichtplanung deutlich erschwert. Geht man davon aus, dass es im aktuellen Tarifkonflikt zwischen EVG und GDL um insgesamt rund 37.000 Tarifmitarbeiter geht, müssten bis zu 7 Millionen Schichten im Fall von kollidierenden Arbeitszeitregelungen in Tarifverträgen geprüft und angepasst werden.

Beispiel 1:
Ein ICE wird nicht von Anfang bis Ende nur von einem Lokführer gefahren. ICE-Fahrten werden bei der bundesweiten Schichtenplanung in mehrere Fahrabschnitte unterteilt, in denen jeweils Lokführer aus unterschiedlichen Einsatzstellen auf einem Zug eingesetzt sind. So fährt zum Beispiel ein in Hamburg wohnender Lokführer den ICE von Hamburg nicht bis nach Basel, sondern nur bis Hannover, um dort den ICE von Köln nach Berlin zu übernehmen. In Berlin übernimmt er dann wieder einen Zug bis Hannover, um dann von Hannover aus wieder einen ICE, der in Frankfurt begann, nach Hamburg zu führen.

Neben wirtschaftlichen und sozialen Gründen ist eine solche Aufteilung vor allem erforderlich, um den geltenden Tarifvertrag einzuhalten, und um im Sinne unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Anzahl auswärtiger Übernachtungen zu minimieren. Bei der Schichtenplanung sind insgesamt rd. 460 Parameter zu berücksichtigen, von denen die tariflichen Anforderungen den höchsten Anteil ausmachen. Unterschiedliche Tarifverträge würden eine deutschlandweit einheitliche Planung unmöglich machen. Stattdessen müsste für jeden Tarifvertrag jeweils eine gesonderte Planung erstellt werden. Diese Planungen wären wegen der voneinander abweichenden Regelungen miteinander nicht kompatibel.

Beispiel 2:
Zugbegleiter A und Zugbegleiter B arbeiten in der gleichen Einsatzstelle. Früher haben sie regelmäßig ihre Schichten getauscht, wenn bei dem einen privat etwas spontan dazwischen gekommen ist. Wenn für beide z.B. unterschiedliche Arbeitszeiten gelten: Dann ist das Tauschen der Schicht nicht mehr möglich, weil der eine nach dem für ihn gültigen Tarifvertrag nur eine reine Fahrzeit von 7 Stunden auf dem Zug haben darf, während der andere Kollege eine Fahrzeit von 8 Stunden hat.

In beiden Beispielen wird deutlich, dass konkurrierende Tarifbestimmungen weder Arbeitnehmern noch Arbeitgeber nutzen können.

  • Positionen der DB

Was möchte die DB?
Die DB will mit beiden Gewerkschaften vernünftige langfristige Absprachen treffen, um zu vermeiden, dass mehrere Tarifverträge z.B. Unterschiedliches zur Arbeitszeit für ein und dieselbe Mitarbeitergruppe regeln. Ziel sind stabile Verhältnisse, eine geordnete Tarifpolitik und eine Sozialpartnerschaft mit beiden Gewerkschaften, EVG und GDL. Genau dies verhindert Tarifkonkurrenz. Deshalb baut die DB auf eine Kooperation zwischen und mit den Gewerkschaften. Die DB schlägt eine trilaterale Kooperationsvereinbarung zwischen DB, EVG und GDL vor, die bis weit ins nächste Jahrzehnt gilt.

Was soll in der Kooperations-Vereinbarung stehen?
In der Kooperationsvereinbarung sollen klare Spielregeln formuliert werden, die die Zuständigkeiten der Gewerkschaften einerseits und Verfahrensregeln (z.B. Abstimmungen) andererseits festlegen. Ziel muss sein, den Umgang bei Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern konfliktfrei gewährleisten zu können. Die DB will vermeiden, dass mehrere Tarifverträge für ein und dieselbe Arbeitnehmergruppe gelten, die zu gleichen Inhalten Unterschiedliches oder gar Widersprüchliches regeln. Die DB ist bereit, beiden Gewerkschaften gegenüber Verpflichtungen einzugehen, die ein geordnetes Nebeneinander sowie Selbständigkeit und Autonomie der Gewerkschaften sicherstellen. Dazu gehören auch akzeptable Spielräume für die Verwirklichung eigenständiger Interessen beider Gewerkschaften. Wenn es erforderlich wird, sollen verhandlungsbegleitende, bilaterale Konfliktlösungsverfahren für eine gewerkschaftsübergreifende Verständigung vereinbart waren.

Was könnte in der Tarifrunde passieren?
Das hängt vom Verhalten der Gewerkschaften ab. Da sowohl GDL als auch EVG in der Öffentlichkeit angekündigt haben, die Grundlagen-Tarifverträge nicht verlängern zu wollen, wirkt sich ohne eine neue Vereinbarung das Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010 bei der DB aus. Mit dem Auslaufen der Grundlagen-Tarifverträge können GDL und EVG ohne Einschränkung Tarifforderungen für zusätzliche Arbeitnehmergruppen erheben. Damit sind konkurrierende Forderungen für eine Berufsgruppe wahrscheinlich. Die GDL hat auch für Zugbegleiter, Bordpersonal und Lokrangierführer (für beide ist bisher die EVG zuständig) Tarifforderungen formuliert, gleichzeitig wird die EVG für Lokführer (bisher GDL) verhandeln wollen.

Szenario Tarifkonkurrenz: Wie würde z.B. entschieden, was für wen gilt?
Sollte es mit verschiedenen Gewerkschaften Tarifverträge für identische Arbeitsverhältnisse geben, wäre zunächst die Gewerkschaftszugehörigkeit entscheidend für die Frage, welcher Tarifvertrag gilt.

Bei Mitarbeitern ohne Gewerkschaftsmitgliedschaft regelt dies der Arbeitsvertrag, der auf den „im Betrieb jeweils geltenden Tarifvertrag“ Bezug nimmt. Welcher Tarifvertrag dies bei Arbeitnehmern ist, die keiner Gewerkschaft angehören, kann nach Änderung der BAG-Rechtsprechung zur Tarifeinheit nicht mehr eindeutig und rechtssicher entschieden werden.

Gilt für diese nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer dann doch nach dem sog. Mehrheitsprinzip der Tarifvertrag, der für die Mehrzahl der Beschäftigten im Betrieb gilt?

Bei gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern kann sich die Tarifzuständigkeit ändern, wenn der Arbeitnehmer sich zu einem Gewerkschaftswechsel entscheidet. Der Arbeitgeber müsste dann jeweils auf einen solchen Gewerkschaftswechsel reagieren.

D.h. der Arbeitgeber müsste alle Arbeitnehmer (regelmäßig?) danach fragen, ob sie einer Gewerkschaft angehören und ggf. in welcher Gewerkschaft sie organisiert sind.

Dies ist nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der sog. Koalitionsfreiheit jedoch kritisch. Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz soll Arbeitnehmer umfassend vor Diskriminierung schützen. Jeder Arbeitnehmer soll sich frei entscheiden können, ob und in welcher Gewerkschaft er sich organisieren will – oder auch nicht. Der Arbeitnehmer soll weder Nachteile haben, weil er einer Gewerkschaft oder der „falschen“ Gewerkschaft angehört (positive Koalitionsfreiheit), noch soll er einem Zwang ausgesetzt sein, sich überhaupt in einer Gewerkschaft zu organisieren (negative Koalitionsfreiheit).

Vor diesem Hintergrund darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer grundsätzlich – z.B. bei der Einstellung – nicht nach seiner Gewerkschaftsbindung befragen bzw. ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, über seine Gewerkschaftszugehörigkeit Auskunft zu geben.

Wenn man diesem verfassungsrechtlichen Grundsatz weiterhin folgen will, kann der Arbeitgeber also nicht mehr feststellen, welcher Tarifvertrag für welchen Arbeitnehmer gilt.

Da Tarifverträge nach dem Tarifvertragsgesetz „unmittelbar und zwingend“ für tarifgebundene Arbeitnehmer gelten, kann der Arbeitgeber auch nicht einfach mit dem Arbeitnehmer vereinbaren, welcher Tarifvertrag für ihn gelten soll oder ihm gar ein einseitiges Wahlrecht einräumen. Welcher Tarifvertrag für den Arbeitnehmer insgesamt günstiger ist, wird sich bei der DB in den meisten Fällen nicht entscheiden lassen, so dass auch die Anwendung des Günstigkeitsprinzips nicht weiterhilft.

In einer vergleichbaren Situation wie die Arbeitgeberseite befinden sich im Übrigen auch die Betriebsräte. Auch sie müssten z.B. im Rahmen ihrer Mitbestimmung bei der Arbeitszeit ggf. entscheiden, welche tariflichen Regelungen der Gestaltung von Dienst- und Einsatzplänen zugrunde zu legen sind. Treffen in einem Betriebsrat Vertreter unterschiedlicher Gewerkschaften mit konkurrierenden Tarifverträgen zusammen, sind Konflikte vorprogrammiert.

Für Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerseite ist das ein echtes Dilemma, auf das die Rechtsprechung bisher keine Antwort gibt.

Was hält die DB von den Koalitionsplänen zur Tarifeinheit?
Die DB setzt vor allem und vorrangig auf die Einigungsfähigkeit der Gewerkschaften untereinander. Der bevorzugte Weg der DB ist die Kooperation zwischen und mit den Gewerkschaften. Klar ist: Die DB hat zu keiner Zeit eine Einschränkung des Streikrechts gefordert. Notwendig ist aber ein Ordnungsrahmen, der das Miteinander von Gewerkschaften in den Betrieben regelt. Oberstes Ziel muss immer sein, den Betriebsfrieden zu wahren.

Erst wenn die Bereitschaft zu kooperieren nicht vorhanden ist, sind Regeln nötig, die helfen, betriebliche Konflikte zu lösen und zur Befriedung zu führen. Die DB tritt dafür ein, dass ein Gesetz solange ausgesetzt bleiben muss, wie die betroffenen Tarifvertragsparteien sich autonom einigen können. Im aktuellen Tarifkonflikt hält die DB nichts davon, den Ausgang der laufenden Gespräche der Politik über eine gesetzliche Regelung der Verhältnisse abzuwarten. Die Verhältnisse für den DB Konzern können die Tarifpartner unabhängig von möglichen Vorgaben des Gesetzgebers sachnäher und damit besser regeln. Erst wenn dieser Weg nicht zum Erfolg führt, sollte das Gesetz wirken.

Steht ab diesen Sommer ein Dauer-Konflikt mit Streiks ins Haus?
Die DB setzt auf vernünftige Verhandlungspartner. Das Unternehmen wird alles daran setzen, die Gewerkschaften von einem Pakt zur Kooperation zu überzeugen.

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