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Nürnberg: Die U-Bahn „begreifen“

Blinde und sehbehinderte Schüler besuchen die U-Bahn-Werkstatt der VAG
VAGNürnberg, 26.01.2010 (BA)

Busse und Bahnen sind für blinde und sehbehinderte Menschen unverzichtbar, wenn sie ohne fremde Hilfe mobil sein wollen. „Während Menschen mit anderen Behinderungen oft noch auf das Auto als Verkehrsmittel ausweichen können, ist das für Blinde nicht möglich“, erklärt Wolfgang Bosch, Leiter des Reha-Bereichs des Bildungszentrums für Blinde und Sehbehinderte (bbs) in Nürnberg.

Deshalb trainiert er mit seinen Schülern regelmäßig die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Die VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg unterstützt ihn dabei.

Bereits zum dritten Mal ist eine Klasse des bbs am Montag, 25. Januar 2010, in der U-Bahn-Werkstatt der VAG in Langwasser zu Gast. Neun Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 18 Jahren haben Gelegenheit, unter fachkundiger Anleitung die U-Bahn-Züge genau kennen zu lernen und im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. „Für einen Blinden existiert nur, was er selbst erfahren hat“, erklärt Wolfgang Bosch. Damit sich seine Schüler eine Vorstellung von den Fahrzeugen machen können, müssen sie z.B. wissen, wo sich die Türen befinden, wie diese zu öffnen sind und wie der Schließvorgang abläuft. Dafür reicht während des normalen Betriebs die Zeit nicht aus. In Zusammenarbeit mit der U-Bahn-Werkstatt haben Wolfgang Bosch und der Behindertenbeauftragte der VAG, Bernd Zeitler, deshalb vor drei Jahren ein Programm entwickelt, das auf die Bedürfnisse der blinden und sehbehinderten Kinder und Jugendlichen abgestimmt ist.

Vom Motor bis zum Führerstand
VAGBereits seit 30 Jahren verfolgt die VAG zusammen mit den Behindertenverbänden das Ziel, U-Bahn, Straßenbahn und Bus als behindertenfreundliches Verkehrssystem auszubauen. Taktile Taststreifen am Zug, optische und akustische Türschließsignale, Spaltüberbrückungen zwischen Fahrzeug und Bahnsteig sowie sensible Türleisten sorgen für die Sicherheit der Fahrgäste. Rote Haltestangen bieten Menschen mit einem Restsehvermögen räumliche Orientierung. All dies und noch viel mehr erklären Werkstattmitarbeiter Christian Netter und seine Kollegen geduldig den Schülern. Vom Motor bis zum Führerstand erforschen diese die U-Bahn mit allen Sinnen. Dass eine U-Bahn etwa acht Mal so lang ist wie ein Auto hilft ihnen dabei, sich eine Vorstellung von den Ausmaßen des Zuges zu machen. Mit den Armen messen sie den Radabstand ab. Auch auf Gefahren, die zum Beispiel im Kuppelbereich der Züge lauern, machen die Werkstattmitarbeiter aufmerksam. „Wissen ist das beste Mittel, um Gefahren vorzubeugen“, ist Wolfgang Bosch überzeugt.

Im Lehrplan der blinden und sehbehinderten Schüler hat das Mobilitätstraining einen festen Platz. „Die sichere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bringt blinden oder sehbehinderten Menschen ein hohes Maß an Selbständigkeit“, weiß der Mobilitätslehrer. Gerüche, Geräusche und Strukturen helfen bei der Orientierung. Je vertrauter sie sind, desto sicherer können sich die Betroffenen fortbewegen. Mit rund 450 Schülern ist das Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte in Nürnberg bundesweit die größte Einrichtung dieser Art. Kleine Klassen von rund zehn Schülern gewährleisten eine individuelle Förderung. Sogar verschiedene Berufsausbildungen bietet die Einrichtung an. Über das allgemeinbildende Schulangebot hinaus arbeiten die Lehrer im Reha-Bereich daran, die lebenspraktischen Fertigkeiten der Kinder und Jugendlichen zu stärken.

Schlüssel zur Integration
„Wir wissen das Engagement der VAG-Mitarbeiter sehr zu schätzen“, sagt Wolfgang Bosch anerkennend. „Trotz dichter Arbeitsabläufe führen sie uns immer mit Geduld und Einfühlungsvermögen durch die Werkstatt.“ Gegenseitiges Verständnis ist schließlich der Schlüssel zur Integration. Daran arbeitet Bernd Zeitler als Behindertenbeauftragter seit vielen Jahren. Auf der einen Seite sensibilisiert er VAG-Mitarbeiter im Umgang mit Behinderten, auf der anderen Seite informiert er die Interessengruppen der Behinderten über Neuigkeiten bei der VAG. „Wo immer es möglich ist, unterstützen wir unsere behinderten Fahrgäste gerne im Umgang mit unseren Anlagen und Fahrzeugen und lassen ihre Anregungen und Wünsche in unsere Planungen einfließen“, so Bernd Zeitler. „Natürlich gibt es hier und da finanzielle oder städtebauliche Grenzen, aber wir finden immer einen Kompromiss.“

Der Besuch in der VAG-Werkstatt lässt an diesem Vormittag keine Wünsche offen. Ganz nebenbei können die Schüler ihre theoretischen Mathematik- und Physikkenntnisse in der Praxis anwenden, während sie Motoren, Drehgestelle, Räder und Schienen abtasten, um beispielsweise die Leistung einer U-Bahn auszurechnen. Einen bleibenden Eindruck werden die Erlebnisse bei allen Schülern hinterlassen. Für die Technikbegeisterten unter ihnen steht fest: „Die U-Bahn-Technik ist beeindruckend.“

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