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Die Presse: Die Bahn muss nicht jeden wehrlosen Berg durchlöchern

Wien, 20.02.2011 (BA)
Das ÖBB-Finanzdesaster ist von der Politik programmiert worden – jetzt wäre es an der Zeit, das Infrastrukturprogramm zu durchforsten.

Welch eine Überraschung! Da beauftragt die Regierung die Bundesbahnen, jährlich Schulden in Milliardenhöhe für den Ausbau der Infrastruktur anzuhäufen, und dann wundert man sich, dass in einigen Jahren ein Schuldenberg in zweistelliger Milliardenhöhe entstanden ist. Jeder, der nur peripher mit den Grundrechnungsarten vertraut ist (die Kenntnis der Addition reicht schon), hätte schon vor Jahren ausrechnen können, dass da ein Problem auf den Staatshaushalt zukommt. Denn dass die ÖBB selbst jemals ihre Schulden zurückzahlen können, ist eine nette Illusion.

Ein Blick in die Bilanzen des Unternehmens zeigt: Man kann schon froh sein, wenn es die Bahn schafft, aus den Erlösen im Personen- und Güterverkehr die Gehälter der Mitarbeiter zu bezahlen. Der Rest ist Staatszuschuss. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die außerbudgetären Schulden auch den Experten bei Eurostat auffallen. Taschenspielertricks beim Budget funktionieren eben nur eine gewisse Zeit, dann kommen die versteckten Schulden zum Vorschein – je später, umso gravierender die Auswirkungen und umso schmerzhafter die Sparpakete, die dann geschnürt werden müssen. Selbst wenn also die EU-Statistiker Österreich diesmal noch verschonen und die Bahnschulden noch nicht in die Berechnungen für die Staatsschulden aufnehmen sollten – irgendwann kommt das garantiert.

Genug Zündstoff also für das nächste Streitthema in der Koalition, deren einziger Zusammenhalt ohnehin nur noch in gegenseitiger Lähmung zu bestehen scheint. Doch in diesem Fall tun sich beide
Koalitionspartner schwer: ÖVP-Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka kann noch so sehr mit missionarischem Eifer auf das Missmanagement bei der Bahn hinweisen. Auch wenn er damit völlig recht hat, bleibt die Tatsache bestehen, dass es die ÖVP war, die im Jahr 2003 gemeinsam mit dem damaligen Koalitionspartner FPÖ die ÖBB-Reform durchgezogen und damit den Grundstein für die heutige Problematik gelegt hat: Die Kosten für den Ausbau der Infrastruktur wurden – obwohl eingestandenermaßen Staatsaufgabe – damals an die ÖBB delegiert. Die Verantwortung dafür kann man nur unter gröblicher Missachtung logischer Argumente den ÖBB umhängen. Umgekehrt kann aber auch die SPÖ nur schwer die frühere ÖVP-FPÖ-Regierung für die Misere verantwortlich machen. Immerhin führen schon seit mehr als vier Jahren SPÖ-Minister das Verkehrsressort. Zeit genug also, um transparente Budgetverhältnisse wiederherzustellen.

Bleibt also die Frage, wie nun mit den plötzlich wieder ins Bewusstsein gerückten ÖBB-Schulden umzugehen ist. Vielleicht hat die Sache ja auch ein Gutes: Jetzt könnte man ja das Bauprogramm der Bahn einer kritischen Überprüfung unterziehen. Zum letzten Mal ist das vor acht Jahren passiert. Die damalige Verkehrsministerin Monika Forstinger – in Erinnerung geblieben weniger wegen verkehrspolitischer Glanztaten, sondern wegen ihres Stöckelschuh-Erlasses – hat einen Generalverkehrsplan erstellen lassen, in dem die Projekte nach Wichtigkeit gereiht werden sollten. Nur: Das Werk blieb unvollendet, aus Angst vor dem Aufschrei der Landespolitiker wurden alle vorliegenden Projekte als prioritär bewertet – gereiht nur nach dem Stand der Projektvorbereitung.

Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, das zu ändern. Denn bei nüchterner Betrachtung wird sich herausstellen, dass nur wenige Bauvorhaben wirklich wichtig sind. Die Fertigstellung des Westbahnausbaus gehört da dazu, der Semmeringbasistunnel und die Verbindung Wien-Bratislava. Aber sonst? Nicht jeder Berg, der wehrlos in der Landschaft herumsteht, muss gleich durchlöchert werden. Natürlich kann man einen Brennerbasistunnel oder Koralmtunnel volkswirtschaftlich argumentieren. Aber dann muss man auch dazusagen, dass jedes dieser Projekte nur in Verbindung mit einem mittleren Sparpaket finanzierbar ist. Ob es das auch wert ist? Ein Sparpaket ist ja jetzt schon absehbar – anders lässt sich ein höheres Defizit durch die jetzt aufgetauchten ÖBB-Schulden nicht verhindern.
Leitartikel: von Martin Fritzl

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